Interview mit Bundeskanzler Karl Nehammer

Karl Nehammer ist Bundeskanzler der Bundesrepublik Österreich. Ich hatte die Möglichkeit mit ihm ein Interview zu machen.


©Nidetzky


Zuerst würde ich gerne mehr über Ihre Person erfahren. Wollten Sie schon immer Politiker werden? Was war Ihr Berufswunsch als Schüler?

Es war eigentlich nie mein Plan, hauptberuflich in die Politik zu gehen. Ich habe mich bereits in jungen Jahren für die Politik begeistern können und mich auch ehrenamtlich engagiert, aber dass ich eines Tages Bundesminister oder gar Bundeskanzler sein würde, daran habe ich damals bestimmt nicht gedacht. Fest steht, ich habe immer versucht das zu machen, was mir Freude bereitet und bin mir selbst stets treu geblieben – alles andere hat sich, mehr oder weniger, ergeben.

2.     Haben Sie ein Vorbild?

Leopold Figl ist für mich als Persönlichkeit prägend und vorbildhaft gleichermaßen. Es ist außergewöhnlich, wie er als mit dem Leben an sich umgegangen ist: Als Häftling in Dachau hat er schreckliche Erfahrungen gemacht und dennoch hat er seinen Glauben an das freie, demokratische Österreich nie verloren. Er hat sich auch in dieser schlimmsten Krise bewährt und die Menschlichkeit nie verloren, als er sich beispielsweise vor seiner Entlassung aus dem Lager sogar für die anderen politischen Häftlinge eingesetzt hat.

3.   Welche Pläne haben Sie als Privatperson und als Politiker für das Jahr 2023?

Fest steht, die Krisen enden leider nicht mit dem Jahreswechsel. Mein Ziel ist, Österreich sicher und ruhig aus der Krise zu führen. In diesen Zeiten bedeutet Sicherheit zu allererst Unabhängigkeit. Alles andere macht krisenanfällig und erpressbar. Sicherheit heißt: Die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren und zugleich die Erneuerbaren Energieträger massiv auszubauen. Sicherheit heißt aber auch, dass wir unser Land weitgehend selbst mit Lebensmitteln oder Medikamenten versorgen können. Und Sicherheit heißt auch, dass wir uns selbst schützen können, deshalb haben wir die Finanzmittel für das Bundesheer massiv erhöht.  Das ist unser Plan für 2023. Unser Vorsatz ist daher ein Satz: Sicherheit für Österreich!

Als Privatperson ist es mir wichtig, Zeit mit meiner Familie, meiner Frau und meinen Kindern verbringen zu können. Das ist im Alltag der Regierungsarbeit oft schwer, aber ich achte sehr genau darauf, dass dafür genug Zeit bleibt.

4.    Was würden Sie als Ihre größten Erfolge in der Politik bezeichnen?

      Ich bin kein Freund davon Erfolg, als punktuelles Ereignis festzumachen, vielmehr ist es ein stetiger Prozess hinter dem eine Menge Arbeit und Mühe steckt. In diesem Fall ist es das vorläufige Ergebnis der Arbeit eines hochmotivierten Regierungsteams der letzten drei Jahre. Um nur einige konkrete Beispiele zu nennen: Die Zahl der Arbeitslosen ist heute am niedrigsten Stand seit 15 Jahren. Gleichzeitig verzeichnen wir einen Beschäftigungsrekord in Österreich mit fast 4 Millionen Arbeitnehmern. Hier brauchen wir den Vergleich mit anderen Staaten auch nicht zu scheuen! Unsere Wirtschaft ist gegenüber dem Vorjahr gewachsen und laut Experten haben wir den Höhepunkt des Inflationsanstiegs bereits hinter uns. Die österreichischen Gasspeicher sind zu 94% gefüllt, das entspricht über 90 TWh. Die Abhängigkeit von russischem Gas beträgt statt 80 nur mehr 20%. Wir haben im letzten, innen- und außenpolitisch sehr herausforderndem Jahr die Steuerreform umgesetzt und damit niedrige Einkommen sowie Familien deutlich und spürbar entlastet. Wir haben außerdem zur Abfederung der Folgen der Teuerung rund 50 Mrd Euro an Soforthilfe investiert, nach dem Leitsatz: So schnell wie möglich, so viel wie nötig. Im Unterschied zu den Vorgänger-Regierungen haben wir unser Versprechen eingehalten und die kalte Progression endlich abgeschafft: Den arbeitenden Menschen bleibt nun mehr Netto vom Brutto. Zu alldem haben wir in diesen Krisenzeiten auch humanitäre Solidarität bewiesen und 90.000 Menschen aus den Kriegsgebieten in der Ukraine bei uns aufgenommen und ein neues zu Hause geboten.

5.       Als Nächstes würde ich mit Ihnen gerne über politische Themen sprechen. Warum wurden in Österreich Flüchtlingszelte aufgestellt, obwohl es so viel leerstehende Häuser gibt?

Wie auch schon Innenminister Karner mehrfach erklärt hat, wurden die Zelte aufgestellt, , weil alle Betreuungseinrichtungen an der Belastungsgrenze angekommen waren. In so einem Fall ist es besser, junge Männer schlafen in der Nähe von Polizeidienststellen in Zelten, als sie sind obdachlos suchen sich auf eigene Initiative hin eine Übernachtungsmöglichkeit auf öffentlichen Plätzen, vor Schulen oder Kindergärten. Dabei geht es allen voran um die Sicherheit der in der umliegenden Umgebung wohnenden Bevölkerung.

6.       Kann Österreich Ihrer Meinung nach die Klimaziele erreichen? Was wären Ihrer Meinung nach hierfür zielstrebende Maßnahmen?

Feststeht, es sind bereits wesentliche Meilensteine erreicht worden, wenn es um den Klimaschutz geht. Denken wir beispielsweise an das Klimaticket: Fahren mit den Öffis war noch nie so günstig; oder den Transformationsfonds, mit dem wir die Industrie und Unternehmen auf dem Weg begleiten, nachhaltig unabhängiger von fossiler Energie zu werden.

Ich habe auch volles Verständnis für die Anliegen der Klimaschützer. Was allerdings nicht zielführend ist, sind die Protestaktionen, die wir in letzter Zeit vermehrt sehen. Die Methoden der Klimakleber können wir nicht tolerieren, denn sie sind schlicht Sabotage: Sabotage an unserem gesellschaftlichen Zusammenleben, wenn Sachschäden in Kauf genommen, die Sicherheit und Gesundheit von Menschen durch die Manipulation an Fahrzeugen gefährdet und mutwillig stundenlange Staus und Verzögerungen in Kauf genommen werden. Die Verantwortlichen stellen sich damit über die für alle geltenden Regeln. Wenn jeder sein Anliegen zur Rechtfertigung nimmt, um sich über die Regeln stellen, dann hat das mit Demokratie nichts zu tun. Dafür gibt es die Demonstrations- und Versammlungsfreiheit.

7.      Wie können wir in Österreich ohne Zuwanderung den Personalmangel beheben? Gibt es da überhaupt eine Möglichkeit?

Aktuell steigt der Fachkräftebedarf massiv an und Fakt ist, dass dieser Trend sich auch in Zukunft fortsetzen wird. Fest steht aber auch, in Österreich gibt es noch ungenütztes Arbeitskräftepotential. Unser Ziel ist daher klar: Wir müssen das inländisches Potenzial heben, und durch Fachkräfte aus dem Ausland verstärken. Es ist wichtig, dass wir über diese qualifizierte Zuwanderung selbst entscheiden können und nicht der Zufall oder kriminelle Schlepperband bestimmen, wer in unser Land kommt.

Potenziale gibt es in vielen Bereichen, die drei wichtigsten sind:

Erstens im Bereich der Teilzeit: Österreich hat nach den Niederlanden die höchste Teilzeitquote in der EU. Knapp die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen arbeiten Teilzeit, bei den Männern nur etwas über 10 % . Hier gibt es durch mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten und andere Maßnahmen ein hohes Potenzial, das derzeit noch zu wenig genutzt wird.

Zweitens zum Thema Erwerbsdauer: Das durchschnittliche faktische Pensionsantrittsalter liegt deutlich unter dem Regelpensionsantrittsalter. Durch Prävention und mehr Gesundheitsfokus am Arbeitsplatz können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter länger ihrer Erwerbstätigkeit möglichst uneingeschränkt nachgehen und bleiben dadurch länger gesund. Darüber hinaus führen wir derzeit Gespräche die Erwerbsarbeit nach Pensionsantritt steuerlich zu attraktiveren.

Und letztlich der Zuzug qualifizierter Fachkräfte: Aufgrund der demografischen Entwicklung und des Stellenwachstums in Österreich werden ausländische Fachkräfte immer gefragter. Hier gilt es die Rahmenbedingungen weiterhin zu verbessern und darüber hinaus Österreich international als attraktiven Arbeitsstandort zu positionieren. Dafür war die Reform der Rot-Weiß-Rot – Karte, die am 1. Oktober in Kraft tritt, ein wichtiger Schritt.

Gleichzeitig gibt es viele weitere Stellschrauben wie stärkere Qualifizierung von Arbeitssuchenden, effektivere Vermittlung durch das AMS und eine Erhöhung der Attraktivität von Beschäftigung im Allgemeinen. Diese Themen stehen unter anderem auch in den Gesprächen zur Arbeitslosenversicherungsreform im Fokus.

8.     Die deutsche Bundesregierung hat vergangenen Sommer monatliche Tickets für Regionalbahnen für den Preis von 9€ ausgegeben, mit denen man durchs ganze Land reisen konnte. Das vergleichsbare Klimaticket hier in Österreich hingegen kostet um die 68€ für Jugendliche und ca. 91€ im Vollpreis pro Monat. Gibt es realistische Möglichkeiten für ein vergleichbares Ticket mit dem deutschen 9€-Ticket hier in Österreich einzuführen?

      Seit dem Start im vergangenen Oktober haben sich bereits über 200.000 Menschen das KlimaTicket geholt. Das ist ein großer Erfolg und hat unsere Erwartungen bei weitem übertroffen. Mit dem KlimaTicket sind Fahrgäste um 3 Euro pro Tag mit jedem Bus, jeder Straßen- oder U-Bahn und jedem Zug in ganz Österreich unterwegs – gesamt 1.095 Euro pro Jahr.

       Das 9-Euro-Ticket in Deutschland ist nicht mit dem österreichischen Klimaticket vergleichbar, weil das Angebt von Anfang an auf drei Monate befristet war und mit Ende August bereits ausgelaufen ist.  Bei dem ab April vorgesehenen 49-Euro-Ticket, auf das sich die deutsche Bundesregierung und Länder geeinigt haben, hat man sich an unserem österreichischen Modell orientiert.  Bei den 49 Euro handelt es sich allerdings um einen Einführungspreis, sodass Preiserhöhungen und – senkungen weiterhin möglich bleiben – man darf also nicht immer alles für bare Münze nehmen. 

Se Sehen Sie das Erreichen der Pariser Klimaziele als realistisch an?

Es steht völlig außer Frage, dass die Klimakrise Strategien, Maßnahmen und effizientes Handeln erfordert. Das betrifft vor allem die Bereiche Forschung und Innovation zur Standortsicherung, regionale Anpassung an den Klimawandel und konsequente Maßnahmen zur Energieeffizient und erneuerbare Energien.

Mit der Klima- und Energiestrategie hat sich Österreich, im Einklang mit den Zielsetzungen des Pariser Abkommens und den EU-Zielen zum Klimaschutz vorgenommen, bis 2023 die Treibhausgasemissionen um 36% gegenüber 2005 zu reduzieren. Der Anteil erneuerbarer Energien soll auf 45-50% erhöht werden; dabei soll 100% Strom aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Bis 2050 streben wir außerdem die Dekarbonisierung unsers Energiesystems an, dh den Ausstieg aus der fossilen Energiewirtschaft.

Was beispielsweise den Ausbau erneuerbarer Energien betrifft: Bereits im Vorjahr haben wir den Ausbau in diesem Bereich massiv hochgefahren haben. Es wurden mehr Photovoltaikanlagen und Windräder gebaut als je zuvor. Zur Absicherung des Gasbedarfs für den Winter wurde ausreichend Gas eingespeichert, zum ersten Mal in der Geschichte wurde eine staatliche strategische Gasreserve angelegt. Feststeht, es braucht aber noch mehr Tempo bei diesem Ausbau. Deshalb haben wir auf der Regierungsklausur Anfang des Jahres wichtige Maßnahmen für die kommenden Monate beschlossen. Damit wollen wir die Energiewende nochmals deutlich beschleunigen. Insofern bin ich doch zuversichtlich, dass wir auf einem guten Weg sind.

1    Was sind Ihre Pläne für mehr Digitalisierung?

Mit Florian Tursky haben wir einen äußert engagierten und kompetenten Staatssekretär ins Regierungsteam geholt, der die Umsetzung des Regierungsprogramms in diesem Bereich in vorantreibt. Er ist hier auch persönlich ein großes Vorbild, er führt sein Büro weitgehend papierfrei. Unter anderem sollen bis 2024 nahezu alle Behördengänge auch digital absolviert werden können und alle Ausweise vom Geldbörserl aufs Handy wandern. Langfristig, also bis 2025, haben wir uns zum Ziel gesetzt, Österreich in der Digitalisierung unter die Top 5 zu bringen und so in eine digitale Zukunft zu führen. Das ist für Österreich essenziell. Bis 2030 möchten wir Österreich außerdem flächendeckend mit festen und mobilen Gigabitanschlüssen versorgen. Unser gemeinsames Ziel auf europäischer Ebene ist, alle Mitgliedsstaaten zu befähigen das volle Potenzial digitaler Technologien ausnutzen zu können, um die digitale Transformation letztlich als Hebel für den ökologischen Wandel voranzutreiben.

11   Am Schluss ein paar Themen, die  Jugendliche besonders beschäftigen. Was ist aus Ihrer Sicht das größte Problem für Jugendliche? Wie entgegnen Sie diesem Problem politisch?

In jeder politischen Entscheidung, die wir treffen, geht es darum, wie wir unser Land in Zukunft gestalten wollen. Insofern ist Politik immer auch Jugendpolitik. Gute Jugendpolitik beschäftigt sich mit allem, was junge Menschen betrifft, das geht von der Bildung bis hin zum Klimaschutz. Oft geht es dabei auch um einzelne Programme wie Erasmus+. Da ich mich selbst bereits in jungen Jahren politisch engagiert habe weiß ich, dass die Stimmen der jungen Menschen oft nicht ausreichend Gehör finden. Als ich Bundeskanzler wurde, habe ich daher ein eigenes Staatssekretariat für Jugend im Bundeskanzleramt geschaffen, das sich speziell um diese Anliegen kümmert. Mit Claudia Plakolm haben wir die optimale Person für dieses Amt gewonnen. Jung, dynamisch und als Bundesobfrau der Jungen Volkspartei und ehemalige Nationalratsabgeordnete politisch bereits extrem erfahren. Sie ist das ideale Sprachrohr für die jungen Menschen in Österreich.

12  Warum erhält der heurige Maturajahrgang von höherbildenden Schulen, der am längsten mit Corona zu kämpfen hatte, als erster Jahrgang seit 2020 die wenigsten Erleichterungen?

Unterrichtsminister Polaschek hat bereits kurz nach seinem Amtsantritt im Jänner vergangenen Jahres ein umfangreiches Paket zur Bekämpfung der Coronafolgen bei Schülerinnen und Schülern vorgestellt. Es wurden bisher bereits 480 Mio. Euro dafür bereitgestellt und mit dem für 2023 beschlossenen Budget sind weitere 120 Mio. Euro vorgesehen.  Zurzeit werden die Maßnahmen im Unterrichtsministerium finalisiert und festgelegt. Ziel ist, die Schwerpunkte im Bereich Förderstunden und Bewegung und Sport weiterzuführen. Das Gesundheitsministerium unterstützt zudem die besonders wichtige Maßnahme „Gesund aus der Krise“ zur psychologischen Unterstützung von Schülerinnen und Schülern mit weiteren 20 Mio. Euro. Auch diese Mittel sollen im schulischen Kontext wirksam eingesetzt werden.

13   Welchen Rat würden Sie Schüler*innen für die Zeit nach der Matura geben?

Niemand von euch braucht meine Ratschläge, was ich aber mit dem zunehmenden Alter gelernt habe, ist definitiv Dinge gelassener zu sehen.  Darüber hinaus und für mich selbst, habe ich habe immer versucht das zu machen, was mir Spaß macht und Freude bereitet und bin mir dabei selbst stets treu geblieben. Das würde ich so auch meinen eigenen Kindern mitgeben. Nur was man gerne macht, macht man auch gut.

1    Wie kann man Ihrer Meinung nach junge Menschen für Politik begeistern?

Zu allererst finde ich es großartig, dass sich so viele junge Menschen für Politik interessieren und auch in den verschiedensten Bereichen ehrenamtlich engagieren. Dazu zählt auch dieses Interview heute.

Politik lebt vom Austausch; dazu zählt auch der Austausch zwischen den Generationen. Wir als Bundesregierung nehmen die Anliegen der jungen Generation ernst und dieses Gefühl möchten wir auch vermitteln. Wie bereits erwähnt, habe ich nicht umsonst eigene Staatssekretariat im Bundeskanzleramt für diese Agenden geschaffen. Claudia Plakolm hat bisher gute Arbeit geleistet und wird sich auch weiterhin für die Anliegen der jungen Menschen in unserem Land einsetzen.

Vielen Dank für das Interview!

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